Umkehr als Einkehr
Umkehr, Buße, Bekehrung, Fasten, da sind sie wieder, die großen und wuchtigen Worte, die mit zur österlichen Bußzeit gehören. Unser Empfinden nimmt dabei vielleicht so etwas wie schwere Klänge und dunkle Farben wahr. Scheinbar ist nun der Ernst des Lebens wieder dran.
Doch wohin will sie uns führen, diese Zeit, worauf will sie aufmerksam machen? Es geht wie zu allen Zeiten um das Leben, um mich und dich und um Gott. Der Weg dorthin wird mit dem alten Wort von der Umkehr bezeichnet. Es ist inzwischen ein schwieriges Wort geworden, zu dem ein Zugang erschlossen werden soll.
Gerade in unserer so lauten und oberflächlichen Zeit könnten wir Umkehr als Einkehr verstehen. Es gilt, weg von der Außenorientierung und hin zur Aufmerksamkeit nach innen zu kommen. Einkehr zum wirklichen Leben!
Dazu fordert schon der bekannte schlesische Mystiker Johann Scheffler auf: „Halt ein! Wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für!“ Es entspricht einer breiten biblischen und spirituellen Erfahrung, dass Gott in uns selbst gegenwärtig ist. Er ist der Grund unserer Seele, das wahre Selbst, das jeden Menschen erleuchtet, die Wahrheit, die uns zu uns selber bringen möchte. So sagt Jesus im Johannesevangelium von sich und dem Vater: „Wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“ (Joh 14,23) Und Paulus bekennt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) Das ist der „Schatz im Acker“, der tief in uns verborgen liegt. (vgl. Mt 13, 44) Seit der Menschwerdung Gottes ist ER „in allem ganz tief verborgen, was lebt und sich entfalten kann.“ (GL 414/4) Und das gilt noch einmal in besonderer Weise für uns Menschen. Der schweizer Pfarrer Kurt Marti ist deshalb überzeugt: „großer gott: uns näher als haut oder halsschlagader kleiner als herzmuskel zwerchfell oft: zu nahe zu klein - wozu dich suchen? wir: deine verstecke.“ Von daher die große Möglichkeit der Einkehr! Abkehr vom Äußeren, Hinkehr zum Inneren! Hier spielt die Musik! So jedenfalls haben es Hildegard von Bingen und viele andere ähnlich erfahren: „Gott hat auf seiner Harfe ein Lied gespielt, und ihre Saiten gehen mitten durch meine Seele.“ Es ist das Lied der Liebe und des Lebens. Da reichen kein Angebot der Werbung und keine noch so tolle Fernsehshow heran.
Und Gott hat sein Lied in uns sogar schon vorbereitet. Es ist das Echo der Sehnsucht in unserem Herzen. Ein Schüler fragte seinen Meister: „Wie kann ich Gott finden?“ Dieser entgegnete ihm: „Sag mir, liebst du Gott?“ Jener darauf: „Nein, das könnte ich nicht sagen.“ Der Meister weiter: „Aber vielleicht spürst du in dir die Sehnsucht, Gott zu lieben.“ Der Schüler: „Da bin ich mir nicht so sicher.“ „Aber vielleicht hast du die Sehnsucht nach der Sehnsucht, Gott zu lieben.“ „O ja,“ antwortete der Schüler. „die Sehnsucht nach der Sehnsucht regt sich in mir sehr wohl.“ „Wohlan“, sprach der Meister. „das genügt. Du wirst Gott finden.“
Gott ist schon immer da und sehnt sich nach uns, dass wir uns aufmachen zu ihm. „Gottes Sehnsucht ist der lebendige Mensch.“ (Irenäus von Lyon) „Das Herz, das sich nach Gott sehnt, ist genau das gleiche Herz, in dem Gott wohnt.“ (Beatrice Bruteau) Hier will er Begegnung feiern. Hier dürfen wir ihm auf die Spur kommen. Hier finden wir uns selbst und ihn. Umkehr als Einkehr. Wir dürfen unsere tiefste Sehnsucht und unsere verborgensten Wünsche wahrnehmen und vor Gott zur Sprache bringen. Da sind wir ganz bei uns und ganz bei Gott. Kann es Wichtigeres und Schöneres geben? Dazu lädt die Fastenzeit erneut ein. Denn es geht auf das Leben zu, auf Gott hin, bis er „alles in allem ist.“ (1 Kor 15,28)
H.-Konrad Harmansa